Sonntag, 31. Mai 2015

Effiziente Lauftechnik: Darauf kommt's an

Beim Durchforsten von in die Jahre gekommenen, ausgedruckten Fachartikel bin ich auf ein Juwel gestoßen, das vor etwa 17 Jahren mitunter mein Interesse an der Sportwissenschaft geweckt hat. Es handelt sich um einen Aufsatz von Christian Simon und Luis Mendoza in der Zeitschrift Leistungssport, mit dem unspektakulären Titel Effizienz und Ökonomie im Mittel- und Langstreckenlauf. Nachstehend meine kleine Zusammenfassung und Schlussfolgerungen für die Praxis:

Die Autoren untersuchten jeweils 10 Mittel- und Langstreckenläufer (Leistungsvermögen im Bereich 30 bis 32 min auf 10 km, 3:52 bis 4:10 auf 1.500 m) und 10 Sportstudenten hinsichtlich biomechanischer und physiologischer Parameter, im Rahmen eines individualisierten 5x 2.000 m Feldstufentests. Es ist zu vermuten, dass sich trainierte Läufer im Hinblick auf auf Laufökonomie und -effizienz deutlich vorteilhafter fortbewegen.

In Bezug auf das Leistungspotenzial eines jeden Läufers stellt sich nun die praktische Frage, wie man sich mit bei hoher Geschwindigkeit mit möglichst wenig Energieverlusten fortbewegt. Bekanntlich ist die Energiebereitstellung der Flaschenhals der Ausdauerleistungsfähigkeit.

Um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen stehen zwei Wege zur Auswahl. Erstens: Die Vergrößerung der Energiebereitstellung. In diesem Zusammenhang sind die Konstrukte der maximalen Sauerstoffaufnahme (Potenzial) und der Laktatschwellen (aerobe Potenzialausschöpfung) für die Trainingsgestaltung in allen Ausdauerdisziplinen maßgeblich - und hinreichend besprochen worden.

Zweitens: Der Athlet optimiert die Lauftechnik derart, dass mit einem Minimum an Energieverbrauch ein relatives Maximum an Laufgeschwindigkeit erzeugt wird. Um Ermessen zu können, in welchen Bereichen der Laufbewegung Verbesserungspotenzial liegen, muss bekannt sein, wofür mechanische Energie eingesetzt wird, bevor sich der Körperschwerpunkt in Laufrichtung verschiebt.

Das Techniktraining im Langstreckenlauf wird im noch stiefmütterlich behandelt. Zum einen deshalb, weil die Verbesserungsreserven des energetisch-muskulären Trainings deutlich größer sind. Zum anderen unterliegt die Lauftechnik einer Selbstoptimierung bei steigenden Trainingsumfängen. Wozu dann noch Techniktraining? Dazu später mehr …

Gehen wir zunächst zum Ort des Geschehens: An welchen Stellen entstehen Energieverluste bei der Umwandlung von metabolischer Energie in mechanische Verschiebungsarbeit in Laufrichtung?
  1. muskuläre Ebene (Muskel kontrahiert und setzt Gelenke Bewegung /oder fixiert sie): Energieverluste durch Wärme und Wiederherstellungsprozesse, mechanische Arbeit gegen den muskulären Gegenspieler, Verformungskräfte in Muskeln und Sehnen, Entstehen innerer Reibung
  2. Körpersegment-Ebene (= Körperteile ändern Position oder verharren in neuer Stellung): Arbeit gegen die Gravitation, Arbeit gegen äußere Reibungskräfte (z. B. Luftwiderstand), Energietransfer zwischen den Körpersegmenten und interne Arbeit
  3. Körperschwerpunkt (KSP)- Ebene  (= Verschiebung des KSP in Laufrichtung): Bewegung des KSP in vertikaler und transversaler Richtung, also nicht in horizontaler Richtung (= Laufrichtung)
Das Verhältnis von mechanischer Arbeit des Systems und metabolischen Energieverbrauch ergibt den Wirkungsgrad der Laufbewegung (Effizienzkriterium). Die kursiv gestellten Komponenten lassen sich laut Autoren durch Techniktraining beeinflussen.
Das ergab die Untersuchung: Langstreckenläufer von Sportstudenten unterscheiden sich m Hinblick auf Effizienzkriterien und kinematischer Parameter folgendermaßen:
  • geringere transversale KSP-Verschiebung (Bewegung nach „schräg oben“; 1,5 % der Gesamtarbeit versus 2,1 %)
  • geringere vertikale KSP-Verschiebung (Bewegung nach „oben“; 13 % der Gesamtarbeit versus 16 %)
  • Der Gesamtengergietransfer in die zielgerichtete Fortbewegung ist höher: 54 % versus 46 %
  • größere Fußgelenk- und Kniegelenkbeugung des Schwungbeins 
  • geringere Kniegelenkstreckung des Stützbeins
  • kleinerer Rumpflagewinkel (weniger nach vorne gebeugt laufend)
Die bessere Laufeffizienz der Langstreckenläufer korreliert mit dem Trainingsumfang, was auf einen Prozess der biomechanischen Selbstoptimierung hindeutet. Die größeren Gelenkwinkel im Fußgelenk begünstigen die muskuläre Vorspannung (Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus) und damit den Energietransfer, die größere Knieflexion mindert das Massenträgheitsmoment im Schrittzyklus, die kleinere transversale Rumpfwinkellage reduziert das seitwärtsgerichtete Pendeln des Körpers (welches bei Laufanfängern vielfach zu beobachten ist).

Die Untersuchungsergebnisse wurden in den letzten Jahren vielfach bestätigt oder verfeinert. Allein aus diesen Beobachtungen ließen sich Leitlinien für ein gezieltes Techniktraining ableiten. Jene finden sich mittlerweile in den meisten Lauf-ABC-Programmen wieder. Die „natürliche“ Selbstoptimierung (die separate Effektstärke lässt sich schwer abschätzen) und Individualität der Bewegungstechnik (manche Spitzenathleten bewegen sich zwar physiologisch ökonomisch, jedoch nicht gemäß gängiger Effizienzkriterien) außen vorgelassen:
  • Fördern einer geradlinigen Schwungbein-Führung und ruhigen Oberkörperbewegung (auch durch Isolationsübungen)
  • Steigerung bzw. Reduzierung der Gelenkwinkelamplituden durch Üben von Teilbewegungen (z. B. Fußgelenkslauf, Kniehebelauf u.ä.)
  • Bewusstes, zweckmäßiges Koppeln der Arm- und Beinführung innerhalb der doppelten Pendelbewegung (zur Reduzierung transversaler Kräfte)
Auf die Darstellung eines detaillierten ABC-Programmes verzichte ich an dieser Stelle.

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